AAAAAAWWWWWnnnnn

Übers Meer


 

von Regine Sager-Buschek

 

Das alte Fischerboot dümpelte in Sichtweise des Ufers. Paul, der Fischer lehnte an der hölzernen Reling und spähte über das Wasser. Wie fast jeden Morgen näherte sich das Boot Jakobs, des Freundes seit längst vergangenen Kindertagen.  Jakob stand am Bug und rief gut gelaunt zu ihm hinüber.

"Guten Morgen, Paul, kommst du mit hinaus aufs Meer? Heute ist ein besonders schöner Tag. Ich würde dir gerne meine Insel zeigen."

Paul winkte ab. " Nein, nein, lass gut sein, vielleicht ein anderes Mal."

Wie oft hatte Paul ihm diese Antwort schon gegeben.

"Gut, dann ein anderes Mal", erwiderte Jakob. Seine Antwort, unverändert, seit er an Pauls Boot vorbei übers Meer fuhr.

Paul stand unbeweglich an der hölzernen Reling, bis sich die rostrote Farbe von Jakobs Kahn allmählich in der Weite des Horizonts verlor, dann drehte Paul sich seufzend um und sah zum nahen Ufer. Er traute sich einfach nicht, aufs offene Meer hinauszufahren. Etliche Male hatte er einen Anlauf genommen, aber immer  war er umgekehrt. Angst überfiel ihn, sobald das sichere Ufer seinem Gesichtsfeld entschwand. Das Meer war zu groß. Er fand keinen Halt, war er nur von unbekannter Weite umgeben. Die hinaus aufs offene Meer zogen, brachten reichlich Fischbeute mit. Er musste sich mit dem begnügen, was der schmale Küstenstreifen hergab. Aber er hatte genug zu essen, eine gemütliche Hütte , Kleidung für Sommer und Winter. Und er würde gefahrlos überleben. Das Meer war unberechenbar und bedrohlich. Viele Menschen waren von ihrer Reise aufs Meer hinaus nicht zurück gekehrt. Warum sich also dann aufs offene Meer wagen? Warum das Unbekannte kennenlernen? Was sollte er auf Jakobs Insel? Wozu den blendend weißen Strand ansehen, die azurblauen Lagunen, die üppige Vegetation, die reichen Fischbestände? Jakob übertrieb bestimmt maßlos in seinen Erzählungen. Obwohl, einmal hatte er ihm eine Handvoll weißen Sand mitgebracht, ein anderes Mal eine prächtige exotische Blume, dann eine wundervoll geformte Muschel, deren Art Paul hier an der Küste noch nie gesehen hatte, und die immer sichtbar in seinem Zimmer auf der Fensterbank lag. Und es war nicht zu leugnen, dass Jakobs Netze übervoll mit Fisch gefüllt waren. Gut, aber zu welchen Bedingungen. Unbekannten Gefahren ausgeliefert zu sein, fern des heimatlichen Strandes. Nein, für ihn war die Sicherheit seines Umfeldes lebenswichtig.

Eines Tages da war sich Paul sicher, eines Tages würde Jakob nicht zurückkommen. War es wirklich so angenehm auf der Insel, der Himmel dort näher als hier an der Küste? Jakob meinte, dort sei bestimmt die Liebe geboren. So ein Unsinn. Und warum hatte kein anderer Mensch bis heute Jakobs Insel entdeckt? Nur Jakob! Viele zogen doch übers Meer. Jeder erzählte seine eigenen Geschichten. Jeder schien seine eigene Insel zu entdecken. Tag für Tag beschäftigte sich Paul damit.  Manchmal hasste er das Meer und die Insel. Sie zeigten ihm nur zu deutlich seine Grenzen auf. Eines Tages , in seinem fünfundachtzigsten Lebensjahr kehrte Jakob nicht mehr zurück. Ich hatte Recht, triumphierte Paul, ich habe es gewusst.  Habe ich nicht immer gesagt, eines Tages wird er nicht zurückkommen. Ich lebe noch, so war es richtig, was ich getan habe. Jede Minute, jede Stunde zählt doch. Tag für Tag wiederholte Paul diese Worte. Wochen vergingen, daraus wurden Monate, Jahre. Jakob fehlte Paul. Sein Lachen, seine Geschichten von der Insel, auf der die Liebe geboren sei, das fehlte Paul mehr, als er sich eingestehen wollte. Fast jeden Morgen lehnte er an der hölzernen Reling seines alten Fischerbootes und dachte, wie schön es doch wäre, wenn  Jakobs Kahn auftauchen würde. Das Leben erschien ihm freudloser. Jakob hatte seine Phantasie angeregt. Jetzt sah Paul oft voller Sehnsucht auf das offene Meer hinaus. Warum nicht? Nicht fragen wozu. Sich einfach aufmachen. Ich will es wagen. Heute ist ein besonders schöner Tag, wie Jakob gesagt hätte. Immer wieder sprach Paul diese Worte zu sich und immer wieder verließ ihn der Mut. Doch dann eines Morgens machte er sein Boot klar. Es fiel ihm nicht leicht. Er stand in seinem neunundachtzigsten Jahr. Er steuerte sein Boot aufs offene Meer. Der Hafen verschwand, das Ufer löste sich auf. Pauls Herz klopfte unruhig. Aber er sah nach vorn. Einmal möchte ich die Insel sehen. Einmal über mich hinaus wachsen. Die Sonne brannte unablässig auf das kleine Fischerboot. Paul hatte seine schützende Kappe vergessen. Er bemerkte es nicht. Lange schon war er unterwegs, da sah er die Silhouette einer Insel. "Das ist die Insel . Ich habe sie erreicht. Schade, dass Jakob nie davon erfahren wird. Der Sandstrand war so blendend weiß, wie Jakob ihn geschildert hatte. Die Luft behagte ihm, ganz leicht lag sie auf seiner Brust. Sein Herz schlug ruhig. Er verspürte Freude, ein tiefes Glücksgefühl durchfuhr ihn. Tatsächlich, hier könnte die Liebe geboren sein. Wie ein junger Mann lief er den Strand enlang.

Ein Fischerboot dümpelte in Sichtweite des Ufers. Paul erkannte es sofort.

"Das kann doch nicht wahr sein," rief er aus," das Boot." Über Jahrzehnte hinweg hatte er es fast jeden Morgen gesehen. Als Paul näher kam erblickte er Jakob, der ihm lachend zuwinkte.

"Bist du endlich gekommen. Habe ich dir nicht gesagt, wie schön es hier ist. Ich wollte nicht mehr übers Meer zurück. Willst du bleiben?"

Ohne zu zögern, lief Paul zu ihm.

alle Rechte by :  Regine Sager- Quis separabit Verlag